Objekt des Monats

Jedes Objekt in der Sammlung des Deutschen Auswandererhauses erzählt eine ganz persönliche Auswanderungs- oder Einwanderungsgeschichte. In dieser Rubrik stellen wir Ihnen jeden Monat ein anderes Objekt vor – eine Fotografie, ein Dokument oder ein persönliches Erinnerungsstück.

Oktober 2021

Laufzettel für das Notaufnahmeverfahren aus dem Jahr 1958

Material

Papier

Maße

14,8 cm x 20,9 cm

Schenkung

Bettina Gerken

Laufzettel-1-COPYRIGHT-Sammlung-Deutsches-Auswandererhaus

Laufzettel-2-COPYRIGHT-Sammlung-Deutsches-Auswandererhaus

Historische Einordnung

Die Flucht aus der DDR ist heute gedanklich oft mit dem Überwinden der Mauer verknüpft, deren Bau vor 60 Jahren stattfand. Allerdings kann man auch schon vor Mauerbau bei der Flucht entdeckt werden – und muss dann mit bis zu drei Jahren Gefängnis rechnen. Auch nach Übertreten der Grenze warten Hürden in der BRD. Zum Tag der Deutschen Einheit erzählen wir die Geschichte einer Familie, die 1957/58 diese Risiken eingeht.

Kurzbiographie Waltraud und Erich Kosak

Waltraud und Erich Kosak leben mit ihrer sechsjährigen Tochter in Helbra, als sie sich Ende der 1950er Jahre entschließen, die DDR zu verlassen. Die Idee stammt von Erich, der bei seiner Arbeit im Bergbau laut seine Meinung äußert und dadurch immer wieder bei offiziellen Stellen aneckt. Waltraud Kosak ist sich zunächst nicht sicher, ob der Schritt richtig ist, denn die Familie baut gerade ein Haus. Schließlich ist sie aber einverstanden und die Familie reist getrennt nach Berlin: Erich tarnt sich als Geschäftsreisender, Waltraud täuscht mit ihrer Tochter Carola einen Verwandtenbesuch in Ost-Berlin vor. Beinahe fliegt der Schwindel auf: Im Zug wird die Tochter getrennt von der Mutter befragt, weil es einem Beamten seltsam vorkommt, dass Waltraud viel Kinderspielzeug mit sich führt. Doch Carola bleibt trotz Einzelbefragung bei der Geschichte vom Verwandtenbesuch, weshalb Mutter und Tochter schließlich ungehindert West-Berlin erreichen.

Mehr Details zu Waltraud und Erich Kosasks Lebensgeschichte

Bedeutung des Objekts

Aus der DDR „rübermachen“, um dann sofort frei in der BRD zu leben, wo man will – so einfach geht es nicht. Im Aufnahmelager in Berlin-Marienfelde muss Familie Kosak zunächst ein Aufnahmeverfahren durchlaufen. Hier stellt die BRD sicher, dass es eine regulierte Einreise der großen Anzahl an sogenannten Republikflüchtlingen gibt. Außerdem prüfen mehrere BRD- und internationale Geheimdienste, ob sich Spion:innen unter den Geflüchteten befinden; die Polizei sucht nach Kriminellen. Im Schnitt dauert das Verfahren zur Aufnahme ein bis zwei Wochen. Den dafür notwendigen Aufwand veranschaulicht der Laufzettel der Kosaks – und auch, dass eben nicht jedes Verfahren nur zwei Wochen dauert. Der erste Datumsstempel stammt vom 29. November 1957. Genehmigt wird die Aufnahme am 9. Dezember 1957. Der letzte Eintrag in Marienfelde wird jedoch noch am 20. Januar 1958 vorgenommen. Als feststeht, dass die Kosaks ausreisen dürfen, nehmen nur zwei Bundesländer Kriegsgeschädigte wie Erich Kosak auf: das Saarland und Bremen. Gegen ihre erste Zuweisung – vermutlich also das Saarland – legen die Kosaks Widerspruch ein. Der Laufzettel zeigt, dass die Familie einige Zeit später nach Bremen „umgewiesen“ wird. Die Reise geht schließlich über Hamburg nach Bremerhaven, wo die Familie zunächst wieder in einem Lager lebt – in der Barkhausenstraße.

Haben auch Sie …

… eine Aus- oder Einwanderungsgeschichte Ihrer Familie zu erzählen und möchten diese mit den dazugehörigen Objekten und Dokumenten dem Deutschen Auswandererhaus für seine Sammlung übergeben? Dann kontaktieren Sie bitte Dr. Tanja Fittkau unter der Rufnummer 0471 / 90 22 0 – 0 oder per E-Mail unter: t.fittkau@dah-bremerhaven.de

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