Objekt des Monats

Jedes Objekt in der Sammlung des Deutschen Auswandererhauses erzählt eine ganz persönliche Auswanderungs- oder Einwanderungsgeschichte. In dieser Rubrik stellen wir Ihnen jeden Monat ein anderes Objekt vor – eine Fotografie, ein Dokument oder ein persönliches Erinnerungsstück.

Mai 2022

Porträtfoto aus dem Jahr 1951 (vermutlich)

Material

Papier

Maße

6 cm x 4 cm

Schenkung

Elena Fridrih

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Historische Einordnung

Im Mai 1945 endet der Zweite Weltkrieg auf dem europäischen Kontinent. Im französischen Reims erfolgt am 7. Mai 1945 die Unterzeichnung der bedingungslosen Kapitulation der deutschen Truppen, die am 8. Mai 1945 um 23 Uhr in Kraft treten soll. In der Nacht vom 8. zum 9. Mai wird auf Forderung der sowjetischen Seite die Unterzeichnung in Berlin-Karlshorst wiederholt.

In der Lesart der westlichen Alliierten stellte die Unterzeichnung von Karlshorst eine „Ratifizierung“ dar. Die sowjetische Seite fasste die Unterzeichnung in Reims dagegen als "vorläufiges Protokoll" auf. Bis heute wird das Ende des Zweiten Weltkriegs in West- und Mitteleuropa auf den 8. Mai, in den meisten postsowjetischen Ländern jedoch auf den 9. Mai datiert. Die meisten Toten hatte die Sowjetunion zu beklagen –  die Zahlen, über die Historiker:innen weiterhin streiten, schwanken zwischen 25 und 40 Millionen, unter ihnen zumeist Zivilist:innen. Nach dem Ende der Sowjetunion avancierte die Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg in den verschiedenen postsowjetischen Ländern zu einem der umstrittensten gesellschaftlichen Themen.

Nach dem Zerfall der Sowjetunion wird die sowjetische Erzählung vom gemeinsamen Sieg über den Faschismus von der neuen, nationalen Geschichtsschreibung zunehmend infrage gestellt. Die stalinistischen Verfolgungen, die Kollaboration der Bevölkerung mit den Achsenmächten sowie die Grenzverschiebungen werden geschichtspolitisch neu ausgelegt. So können sich in der Ukraine die Bewertungen der historischen Ereignisse in den letzten Jahrzehnten von Region zu Region stark unterscheiden.

Kurzbiographie

Solomon Fridrih wird im Jahr 1919 im Dorf Sestrinowka bei Kosjatyn in der Region Winnyzja in eine jüdische Familie geboren. Sein Geburtsort liegt etwa 150 Kilometer südwestlich von Kiew. Ab 1942 dient er in der Roten Armee; als Militärarzt nimmt er auch an den Kämpfen gegen die Wehrmacht auf dem Territorium der heutigen Ukraine teil. Bis 1970 dient er in der sowjetischen Armee und hat zuletzt den Rang eines Obersts. Unmittelbar nach dem Zerfall der Sowjetunion verlässt Solomon Fridrih 1992 mit seiner Frau die unabhängig gewordene Ukraine und kommt als sogenannter "Kontingentflüchtling" nach Deutschland ­– mehrere Familienmitglieder folgen ihm nach. Er stirbt 2005 mit 86 Jahren in Gelsenkirchen.

Bedeutung des Objekts

Der als "Großer Vaterländischer Krieg" bezeichnete Krieg der Sowjetunion gegen NS-Deutschland und seine Verbündeten wird im postsowjetischen Raum, besonders im heutigen Russland, Belarus und Teilen der Ukraine, vor allem in sowjetischer Tradition erinnert und auf die Jahre 1941–1945 datiert. Im aktuellen Konflikt zwischen Russland und der Ukraine kommt es immer wieder auch zum Kampf um die Deutungshoheit über die Vergangenheit.

Das Deutsche Auswandererhaus Bremerhaven zeigt 77 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges in Europa ein Porträt von Solomon Fridrih, vermutlich aus dem Jahr 1951. Er war ukrainischer Jude, sprach russisch, wurde mitten im nach der Revolution 1917 ausgebrochenen Bürgerkrieg geboren und kämpfte im Zweiten Weltkrieg für die Sowjetunion. Die letzten zwölf Jahre seines bewegten Lebens verbrachte er im wiedervereinigten Deutschland. Seine Tochter und Schenkerin der Fotografie von Solomon Fridrih, Elena Fridrih, engagiert sich aktuell für ukrainische Flüchtlinge. Sein 2015 geborener Enkel ist nach ihm benannt.

Haben auch Sie …

… eine Aus- oder Einwanderungsgeschichte Ihrer Familie zu erzählen und möchten diese mit den dazugehörigen Objekten und Dokumenten dem Deutschen Auswandererhaus für seine Sammlung übergeben? Dann kontaktieren Sie bitte Dr. Tanja Fittkau unter der Rufnummer 0471 / 90 22 0 – 0

oder per E-Mail unter: t.fittkau@dah-bremerhaven.de

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