Objekt des Monats

Jedes Objekt in der Sammlung des Deutschen Auswandererhauses erzählt eine ganz persönliche Auswanderungs- oder Einwanderungsgeschichte. In dieser Rubrik stellen wir Ihnen jeden Monat ein anderes Objekt vor – eine Fotografie, ein Dokument oder ein persönliches Erinnerungsstück.

Januar 2024

Bundesverdienstkreuz am Bande, 1994 (verliehen)

Größe

Durchmesser Medaille: 55mm
Breite Band: 30mm

Material

Tombak (Kupfer-Zink-Legierung);
vergoldet, Stoff

Hersteller

Firma Steinhauer & Lück (Orden)

Schenkung

Katja Krupka

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Historische Einordnung

Nach dem Ende des 2. Weltkriegs hatten Orden und Ehrzeichen im Nachkriegsdeutschland einen schweren Stand, musste sich doch die Welt von den grauenhaften Folgen des überbordenden deutschen Militarismus erholen. Eiserne Härte und maskulines Ehrgehabe galten zumindest an der Oberfläche nicht mehr als erstrebenswerte Tugenden, die deutsche Gesellschaft musste entmilitarisiert werden. Nach der Gründung der BRD 1949 regte sich in der westdeutschen Politik jedoch der Wunsch, verdiente Büger:innen der jungen Republik für ihr gesellschaftliches Engagement zu ehren. 1951 unterzeichneten Theodor Heuss, Konrad Adenauer und Robert Lehr den Erlaß über die Stiftung des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland. In verschiedenen Abstufungen und Ausführungen, von der Verdienstmedaille bis zum Großkreuz in besonderer Ausführung (nur verliehen an Konrad Adenauer, Helmut Kohl und Angela Merkel), tritt der Verdienstorden in Erscheinung. Weithin bekannt ist das Verdienstkreuz am Bande (Bundesverdienstkreuz), welches 1951 zum ersten Mal an den Bergmann Franz Brandl aus Nentershausen vergeben wurde, der zwei Kumpel nach einem Unfall im Kupferbergwerk Sontra das Leben rettete. Orden waren so nicht mehr ausschließlich dem Militär vorbehalten, sondern hoben Persönlichkeiten im sozialen, kulturellen, wirtschaftlichen oder technischen Bereich hervor.

Um 1991 wurden knapp 5.000 Verdienstkreuze am Bande verliehen, zumeist an Männer. Seitdem geht die Anzahl der Würdigungen zurück (etwas über 1.000 im Jahr 2022) und Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier bestimmte 2022, dass mindestens 40% der Orden an Frauen verliehen werden. Bei der hohen Stückzahl ist eine Fertigung von Hand undenkbar. Die Ehrenabzeichen werden in einem maschinellen Verfahren hergestellt und bestehen hauptsächlich aus vergoldetem Messing. Eine Anregung zur Verleihung des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland kann man für jede Person beim Bundespräsidialamt stellen, woraufhin geprüft wird, ob die vorgeschlagene Person für ein Verdienstkreuz in Frage kommt.

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Unterschlagen werden darf nicht, dass die Verleihung der Orden auch aus rein politischen Gesichtspunkten und Etikette stattfindet, so finden sich unter den Trägern der Sonderstufe des Großkreuzes problematische Persönlichkeiten wie die ehemaligen Staatsoberhäupter von Kuba, Fulgencio Batista, und Rumänien, Nicolae Ceaușescu, oder  der ehemalige Staatspräsident Jugoslawiens Josip Broz Tito. Nachdem das Bundesverdienstkreuz nachweislich an Personen mit nationalsozialistischer Vergangenheit verliehen wurde ( etwa Heinrich Bütefisch und Hans Ernst Schneider), entstand die Regelung, das es unter Umständen wieder aberkannt werden kann.

Kurzbiographie

Katja Krupka, Jahrgang 1966, tätig in der Hotellerie und wohnhaft in einer kleinen Stadt in Ostwestfalen, lässt dem Deutschen Auswandererhaus eine große Ehren zuteil werden: Sie vertraute uns das Verdienstkreuz am Bande an, das ursprünglich Ihrem Vater, Albrecht ‘Addi Alexis’ Schaefer (1937 - 2023), für seine Arbeit mit körperlich und kognitiv eingeschränkten Menschen verliehen wurde. Anhand der Auszeichnung erzählte uns Katja Krupka nicht nur vom sozialen Engagement ihres Vaters, sondern von einer Familiengeschichte, die in starkem Maße von Flucht- und Migrationserfahrungen beeinflusst wurde.

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Bedeutung des Objekts

Albrecht Schaefer, dem das Kreuz übergeben wurde, kommt 1937 in Dresden zur Welt, sein Vater ist Oberstudiendirektor und er hat eine ältere und eine jüngere Schwester. In der Endphase des 2. Weltkriegs, als der Gegenangriff der alliierten Streitkräfte Deutschland erreicht, wird die Familie Schaefer ausgebombt und verliert ihr Heim. In der Nachkriegszeit lebt die Familie in der sowjetischen Besatzungszone, wo ihr Alltag von Hunger und Armut bestimmt ist. Albrechts Vater entscheidet sich 1950, die 1949 gegründete Deutsche Demokratische Republik (DDR) zu verlassen und flieht mit seinem dreizehnjährigen Sohn in die junge Bundesrepublik Deutschland (BRD). Über mehrere Stationen kommen die beiden nach Mülheim an der Ruhr, wo Albrechts Vater als Gymnasiallehrer arbeitet. Die Flucht ist eine schlimme Erfahrung für Albrecht, der Familie und Freunde zurücklassen musste. Aufgrund seines sächsischen Akzents wird er in der Schule gehänselt. Zeitweise muss er alleine in einem Kinderheim leben. Seine Mutter und die beiden Schwestern kommen später nach, doch die DDR schottete sich vom Westen ab, sodass eine Rückkehr undenkbar ist. Albrechts Mutter hadert ihr ganzes Leben mit der Flucht und schickt viele Pakete an Freunde und Verwandte in der DDR.

Ab 1953 wurde die Flucht aus der "Sowjetzone" im Bundesvertriebenengesetz (BVFG) gesetzlich geregelt. Von 1949 bis zum Bau der Berliner Mauer 1961 fliehen über 2,8 Millionen Menschen aus dem Gebiet der (heute ehemaligen) DDR in die BRD.

Albrecht Schaefer studiert in Essen-Kettwig Lehramt und zieht im Zuge eines Landschulpraktikums nach Twiehausen, nördlich der Stadt Espelkamp. Die Region hat ihn zeitlebens nicht mehr losgelassen, auch wenn er nie wirklich sesshaft geworden ist. Mit seiner Familie lebt er in einer Wohnung in der Dorfschule im nahen Gestringen, Tochter Katja kommt 1966 zur Welt. Als in den 1960er Jahren griechische Arbeitsmigrant:innen nach Ostwestfalen kommen, gibt Albrecht Schaefer den Kindern Deutschunterricht und bleibt Griechenland zeitlebens eng verbunden, was sich auch in seinem Spitznamen ‘Addi Alexis’ widerspiegelt.

Neben der Lehrtätigkeit ist sein Engagement für Kultur und Inklusion hervorzuheben, für das er später auch das verdientkreuz erhalten wird. So gründet Albrecht Schaefer den Bürgerverein Gestringen und ruft Veranstaltungen wie die Nacht der Komödianten und weitere Musik- und Kleinkunstabende ins Leben. Mit dem Circus Krönchen treten Menschen mit diversen körperlichen und kognitiven Beeinträchtigungen mit ihren Talenten und Showideen gleichberechtigt ins Rampenlicht. Für diese Errungenschaften verleiht man Albrecht ‘Addi Alexis’ Schaefer 1994 das Bundesverdienstkreuz am Bande.

Das Verdienstkreuz kann als Zeichen gelesen werden, dass Menschen mit ihren diversen Erfahrungen und Fähigkeiten am gesellschaftlichen Leben teilhaben können und sollen. Dabei darf aber nicht vergessen werden, dass erbrachte Leistungen und soziales Engagement nicht über die langfristigen und traumatischen Folgen von (Zwangs-)Migration hinwegtäuschen dürfen.

Haben auch Sie …

… eine Aus- oder Einwanderungsgeschichte Ihrer Familie zu erzählen und möchten diese mit den dazugehörigen Objekten und Dokumenten dem Deutschen Auswandererhaus für seine Sammlung übergeben? Dann kontaktieren Sie bitte Dr. Tanja Fittkau unter der Rufnummer 0471 / 90 22 0 – 0

oder per E-Mail unter: t.fittkau@dah-bremerhaven.de

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