James Carman

Die Zusammenarbeit mit dem DAH

Für deutsche und osteuropäische Einwanderer:innen war der Zug ab Mitte des 19. Jahrhunderts ein notwendiges Verkehrsmittel auf ihrer Weiterreise nach Westen. James Carman, preisgekrönter US-Kameramann, filmte für das Deutsche Auswandererhaus eine Zugfahrt von New York nach Chicago non-Stop. Er fuhr die sogenannte Lake-Shore-Line, die Strecke, die seit 1852 von New York über Buffalo und Cleveland nach Chicago führt. Von den Herausforderungen des Drehs berichtet er im Interview mit Magdalena Gerwien und Melanie Holz.

Herr Carman, das Deutsche Auswandererhaus empfängt täglich Menschen unterschiedlichster Nationalitäten in einer Stadt, die von Auswanderung und Einwanderung geprägt ist. Welche Bedeutung hat es für Sie, dass Ihr Film in diesem preisgekrönten Migrationsmuseum von Besucher:innen gesehen wird?

Ich freue mich sehr, dass so viele Menschen diesen spannenden Film sehen werden. Von dem Konzept des Museums, Emigration und Immigration zu zeigen, bin ich sehr überzeugt. Schließlich ist das die Geschichte der Menschheit. Menschen waren schon immer in Bewegung, das ist charakteristisch für den Menschen als Lebewesen.

Bewegung ist ein tolles Stichwort – Wie haben Sie die sich verändernde Landschaft auf der Zugfahrt wahrgenommen?

Die Zugstrecke heißt „Lake Shore limited“, da der Zug an den Südumrissen verschiedener Seen entlangfährt. Als ich in Chicago ankam, war ich von der architektonischen Gestaltung sehr überwältigt. Es ist eine lebendige Stadt, in der sich die gesamte Stadt am Lake Michigan trifft und ihren Aktivitäten nachgeht. Mir hat das sehr gut gefallen.

Trotzdem konnten Sie die Landschaft nicht wie andere Zugreisende genießen, da Sie die gesamte Fahrt über kontinuierlich gedreht haben? Ein One-Shot sozusagen.

Genau. Insgesamt ging die Fahrt 19 Stunden und wir haben 18 Stunden lang ununterbrochen gedreht. Ich musste die gesamte Strecke über wach bleiben, das war schon sehr anstrengend. Selbst als wir in Chicago im Hotel ankamen, konnten wir nicht schlafen, sondern mussten erst noch eine Sicherheitskopie erstellen. Und dann ging auch schon wieder der Flug zurück nach New York.

Konnten Sie sich denn schon vor der Zugfahrt auf diese anstrengenden Reise vorbereiten, damit der Dreh reibungslos ablaufen kann?

Ja, der Filmdreh war mit viel Mühe verbunden – man hält nicht einfach ein Handy aus dem Fenster und damit ist die Arbeit erledigt. Mein Assistent und ich haben uns vor der Fahrt genau überlegt, wie wir die Kamera an der Fensterscheibe befestigen, um ein geeignetes Bild zu bekommen. Außerdem mussten wir vor der Fahrt noch eine Drehgenehmigung bei AMTRAK einholen – die Angestellten dort waren jedoch sehr nett. Mit unserem Equipment aus Kameras, Batteriebackups, Festplatten und Saugnäpfen zur Befestigung ging es dann zum Zug, wobei ich sehr froh war nicht alleine zu drehen – ohne meinen Assistenten wäre das alles nicht möglich gewesen.

Filmdreh---COPYRIGHT---James-Carman

James Carman, preisgekrönter US-Kameramann, während der Dreharbeiten.

Für was waren denn die Batteriebackups? Hatten Sie im Zug keinen Stromanschluss?

Den gab es, aber der Strom war nicht kontinuierlich vorhanden. Eigentlich hatte ich die Batterien nur als Absicherung mitgenommen, aber im Endeffekt musste ich sie die gesamte Zeit einsetzen. Um während der Fahrt dann überhaupt filmen zu können, haben wir ein Batteriesystem dazwischengefunkt.  

Der Dreh war also viel schwieriger als gedacht: Mit welchen Herausforderungen wurden Sie während der Fahrt konfrontiert?

Für die Zugreise wählte ich extra eine Vollmond-Nacht aus, da ich dachte, dass es schön wäre das Mondlicht auf der Landschaft zu sehen. Nachts leuchtete das Licht jedoch nicht sehr hell, es war sehr dunkel. Ich entschied mich also eine andere Kamera zu nutzen, die jedoch sehr lichtempfindlich war und die Aufnahmen dunkel blieben. Nachdem ich dann aber die ISO sehr hoch gestellt hatte, gab es endlich schöne Bilder. Als ich aus dem Fenster sah war für mich alles schwarz, aber die Kamera konnte die schönen Landschaften einfangen. Eine geisterhafte Stimmung, das hat mir sehr gut gefallen. 

Bahnhof---COPYRIGHT---James-Carman

In diesem Zug filmte James Carman die Reise von New York nach Chicago.

Auch die 7,2 Millionen Menschen, die über Bremerhaven nach Übersee ausgewandert sind, wurden vor einige Schwierigkeiten gestellt. Wie lebt es sich denn in solch einem „klassischen“ Einwanderungsland wie der USA?

Hier in New York leben Menschen unterschiedlichster Herkunft, die alle unterschiedliche Sprachen sprechen. Ich spreche selbst Spanisch mit meinen Nachbarn und auch eine italienische Freundin konnte sich hier mit Spanisch überall verständigen. Genau deshalb ist und war New York auch schon immer eine Immigrantenstadt. 

Diese Vielfältigkeit von New York – macht das den Charakter des Ortes aus?

Ja, es ist ein gewinnender Punkt von New York. Es ist die Geschichte New Yorks. Diese Offenheit gegenüber Einwanderern ist wichtig. Viele Personen denken bei diesem Thema: „Die Immigranten schöpfen nur unsere Ressourcen aus“.

"Sie beschweren sich nur, aber sehen nicht, dass Einwanderer unsere Stadt bereichern."

Denn auch die USA ist aus dem gebaut, was verschiedene Menschen unterschiedlichster Kulturen hierhergebracht haben.

Findet denn das Thema Migration auch in Ihrer Familiengeschichte einen Platz?

Die Seite meiner Mutter kommt aus der Slowakei, sodass ich in meiner Kindheit Slowakisch gesprochen habe. Obwohl ich die Sprache nicht mehr spreche, hat es mich trotzdem sehr beeinflusst. Das ist Bestandteil meines Lebens. Ich denke, dass man sich von dem Einfluss der Immigration nicht trennen kann.

Im neuen Museumsteil des Deutschen Auswandererhauses, der am 26. Juni 2021 eröffnet wird, geht es ja auch viel um Menschen, die nach Deutschland gekommen sind. Einige Jahre Ihres Lebens haben Sie ja auch in Berlin verbracht. Wie haben Sie denn die Zeit dort erlebt?

Genau, ich war Mitte der Achtziger Jahre als Gastfilmemacher an der Deutschen Film- und Fernsehakademie, sodass ich Berlin in der Zeit der Mauer als getrennte Stadt erlebt habe. Für mich war es dort einfach, aber auch schwierig. Denn damals hatte ich anfangs keine Arbeitsgenehmigung und musste sehr viel schwarzarbeiten - diese Zeit war sehr stressig. Gott sei Dank war Berlin nicht so teuer, sodass ich über die Runden kam.

Dann können Sie sicher auch mit Einwanderer:innen mitfühlen, die sich in einem neuen, fremden Land zurechtfinden müssen?

Ja natürlich. In den USA ist es für Geflüchtete aus Mexiko zum Beispiel sehr schwierig. Ich hatte einmal ein Interview mit einem jungen Mann, der mit seiner Familie in einer kleinen Wohnung lebt und nicht mehr als 10 Dollar die Stunde verdient. Für sie ist es wirklich schwierig über die Runden zu kommen und dabei noch glücklich zu sein. Und ja klar, ich habe sehr viel Sympathie für solche Menschen.

Konnten Sie denn trotz Ihrer fehlenden Arbeitsgenehmigung Ihre Zeit in Berlin genießen?

Ja, nach einer Zeit habe ich schließlich eine Arbeitsgenehmigung und eine Aufenthaltserlaubnis erhalten. Dann war es nach dem Mauerfall auch sehr spannend ein Teil von diesem Neubeginn von Deutschland zu sein und Berlin als offene Stadt zu erleben. Ich habe dort sehr viel Unterstützung und Liebe erfahren, sodass meine Zeit in Berlin super war. Meine Freunde von damals sind noch immer gute Freunde und das schätze ich sehr. Die Zeit in Berlin ist ein großer Teil meines Lebens.

James Carman lebt in New York. Er studierte in San Francisco Film und arbeitet seit 1989 als Kameramann und Fotograf. Neben Reportagen und Dokumentationen filmte er verschiedene Werbespots für namhafte Firmen, wie Siemens. Seine Dokumentation „The Hidden Hand“ erhielt fünf Auszeichnungen. James Carman wirkte unter anderem an der deutschen Netflix-Serie „Unorthodox“ als Kameramann mit.

jamescarman.net