Bescheinigung, 1993

Elena Fridrih ist 44 Jahre alt als sie aus der Zeitung „Komsomolskaja Pravda“ erfährt, dass Juden und Personen mit jüdischen Vorfahren aus der ehemaligen Sowjetunion als sogenannte Kontingentflüchtlinge nach Deutschland einreisen dürfen. Umgehend beantragt sie die Ausreisegenehmigung für sich und ihre Familie. Nach langwierigen und umständlichen Formalitäten ist es geschafft: Elena, ihr Ehemann Jurij, die Kinder Andrij und Nadja sowie Terrier Irik besteigen ein Flugzeug nach Deutschland. Im Dezember 1992, wenige Tage vor Weihnachten, landet die Familie in Frankfurt am Main. Die ersten Tage verbringen die fünf in einem Flüchtlingsheim in Unna, dann werden sie in ein Wohnheim nach Gelsenkirchen weitergeschickt. Das Ankommen fällt den beiden Akademikern und ihren Kindern nicht leicht. Alles ist fremd und vor allem die deutsche Sprache bereitet ihnen zunächst Schwierigkeiten. Elena und ihr Mann besuchen einen Deutschkurs, doch trotz sprachlicher Fortschritte und obwohl die Diplome der beiden Physiker in Nordrhein-Westfalen anerkannt werden, finden sie keine Anstellungen. So ergreift Elena das erste Angebot, das sie vom Arbeitsamt bekommt und absolviert eine Ausbildung zur Altenpflegerin. Auch Jurij muss schließlich einsehen, dass ihm eine universitäre Laufbahn in Deutschland verwehrt zu bleiben scheint. Er macht einen Taxischein und verdient sein Geld fortan mit dem Transport von Fahrgästen. Heute sind beide Ehepartner in Rente. Ihren Entschluss, nach Deutschland zu gehen, haben sie trotz aller Schwierigkeiten nie bereut. Für Elena stand immer die Rettung ihrer Kinder im Vordergrund. Rückblickend sagt sie: „Meine Kinder sind zu intelligenten und kritischen Menschen herangewachsen, die ihre Möglichkeiten kennen und sie auch nutzen. Hier können sie selbst über ihr Leben bestimmen!“ Die Bescheinigung der Stadt Gelsenkirchen aus dem Jahr 1993 bestätigt Elenas Status als Kontigentflüchtling. Damit hat das Dokument zum einen einen persönlichen Wert, zum anderen nutzt es aber auch der aktuellen und kommenden Migrationsforschung. Als Informationsquelle erzählt es nicht nur eine persönliche Geschichte, sondern bietet auch den zeithistorischen Rahmen.
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© Sammlung Deutsches Auswandererhaus, Schenkung Elena Fridrih und Nadja Usova

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